Lohnt es sich, 50 EUR, 80 EUR oder andere kleine Beträge als Unterhalt zu fordern? Die Höhe des Unterhalts hängt zum Großteil vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen ab. Ist dessen Liquidität unzureichend, verhindert oft der Selbstbehalt, dass überhaupt Unterhalt gezahlt werden kann. Doch was ist zu beachten, wenn das Einkommen den Selbstbehalt nur knapp übersteigt? Dabei sind die Ansprüche auf Kindesunterhalt sowie Trennungs- und Ehegattenunterhalt gesondert zu betrachten.
Was ist die Bagatellgrenze?
Der Begriff Bagatellgrenze ist kein definierter Begriff des Unterhaltsrechts. Er wird im Hinblick auf den Trennungs- und Ehegattenunterhalt insbesondere beim Aufstockungsunterhalt diskutiert. Dabei geht es darum, dass der unterhaltsberechtigte Ehepartner seinen dem Grundsatz nach bestehenden Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nur realisieren kann, wenn nicht nur ganz geringfügige Einkommensunterschiede auszugleichen sind.
GUT ZU WISSEN
Bagatellgrenze beim Versorgungsausgleich
Eine ausdrücklich definierte Bagatellgrenze gibt es im Versorgungsausgleichsgesetz (§ 18 VersAusglG). Wird aus Anlass der Scheidung der Versorgungsausgleich durchgeführt, soll das Familiengericht die Versorgungsanwartschaften ausnahmsweise nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist. Gleiches gilt für einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert. In der Vorschrift ist auch festgelegt, wann ein Wertunterschied als gering einzuschätzen ist. Allerdings ist der Berechnungsmodus nicht auf den Unterhalt übertragbar.
Aufstockungsunterhalt soll nur gewährt werden, wenn die Ehepartner erhebliche Einkommensdifferenzen aufweisen. Zudem muss er dazu dienen, ehebedingte Vorteile des ehelichen Lebensstandards zu erhalten und einen sozialen Abstieg zu vermeiden. Gibt es nur geringfügige Einkommensdifferenzen, erfülle der Aufstockungsunterhalt nicht seinen Zweck (so OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1082).
In diesem Sinne stellte auch das OLG Koblenz (Beschluss vom 10.12.2018, 9 WF 218/18) darauf ab, dass der Zweck des Aufstockungsunterhalts nicht in dem mathematisch exakten Ausgleich von Einkommensdifferenzen liege, sondern in der Aufrechterhaltung des ehelichen Lebensstandards. Deshalb bedürften lediglich geringe Einkommensdifferenzen keiner Aufstockung. Da der von der Antragstellerin errechnete Unterhalt unter einem Schwellenwert von 50 EUR lag, wurde die Klage abgewiesen.
Wo genau die Bagatellgrenze aber verläuft, wird völlig unterschiedlich beurteilt:
Kleine Unterhaltssummen - wie hoch ist ein Bagatellbetrag?
Pauschale Grenzen können nicht festgelegt werden. Meist geht es um konkrete Fälle mit Beträgen für bestimmte Fallkonstellationen. Diese können jedoch dabei helfen, eine bessere Vorstellung davon zu gewinnen, was unter einer Bagatellgrenze verstanden wird:
- Der Bundesgerichtshof hatte im Jahr 1984 etwa entschieden, dass ein Betrag von umgerechnet damals 160 DM als nicht zu vernachlässigende Bagatelle anzusehen sei.
- Indiziert entspricht dieser Betrag heute etwa 140 EUR (BGH FamRZ 1984, 988).
- In jüngerer Rechtsprechung wurde ein Mindestbetrag des Aufstockungsunterhalts von wenigstens 50 EUR als Schwellenwert angesehen, um die Bagatellgrenze zu überspringen (OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1082: 63 EUR sind keine Bagatelle).
Weniger als 10% des Einkommens als Unterhalt?
OLG München (FamRZ 2004, 1208): Der Unterhaltszahler hatte 1.250 EUR Einkommen, die Unterhaltsempfängerin 1.050 EUR. Der Differenzbetrag von 200 EUR hätte 100 EUR Aufstockungsunterhalt ergeben. Da 100 EUR weniger als 10 % des Einkommens der Unterhaltsempfänger darstellten, wurde der Anspruch verneint.
Einkommen knapp über dem Selbstbehalt
Ob sich im Einzelfall ein für den Unterhalt verfügbares Einkommen ergibt, hängt mithin auch von den Selbstbehalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners ab. Der Selbstbehalt gegenüber dem getrenntlebenden und dem geschiedenen Ehepartner beträgt 1.180 EUR, wenn der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht erwerbstätig ist und 1.280 EUR bei Erwerbstätigkeit.
Praxisbeispiel
Lohnen sich 70 EUR Unterhalt?
Der unterhaltspflichtige Ehepartner verdient 1.800 EUR netto im Monat. Der unterhaltsberechtigte Ehepartner erzielt 450 EUR netto im Monat. Dieses Einkommen ist unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen und reduziert den Unterhaltsbedarf. Die für den Ehegattenunterhalt maßgebliche Einkommensdifferenz beträgt 1.350 EUR. Im Hinblick auf den Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Ehegatten von 1.280 EUR stehen 70 EUR für den Unterhalt zur Verfügung. Im Hinblick darauf, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nur 450 EUR verdient, dürften 70 zusätzliche Euro für den Unterhalt eine erhebliche finanzielle Unterstützung darstellen. Der Betrag würde die teils angenommene Bagatellgrenze von 50 EUR überschreiten (dann wäre der Anspruch begründet), würde aber unter der andererseits angenommenen Bagatellgrenze von 10 % des Einkommens des unterhaltsberechtigten Ehepartners legen (dann wäre der Anspruch zumindest insoweit nicht begründet).
Gibt es eine Bagatellgrenze beim Kindesunterhalt?
Geht es um den Kindesunterhalt, sollte es keine Bagatellgrenzen geben. Fordern Sie Kindesunterhalt für Ihr Kind, richtet sich die Höhe des Unterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle. Danach kann ein minderjähriges Kind von seinem unterhaltspflichtigen Elternteil den Mindestunterhalt verlangen. Der Mindestunterhalt ist der Betrag, den ein Kind wenigstens braucht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei einem unterhaltsrelevanten Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils bis 1.900 EUR beträgt der Mindestunterhalt für ein Kind bis fünf Jahren 396 EUR (Stand 1.1.2022). Jeder Euro, der über den Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils hinausgeht, muss für die Unterhaltszahlung an das Kind verwendet werden.
Wie viel Unterhalt bei 1.200 EUR netto?
Verfügt der unterhaltspflichtige Elternteil über 1.200 EUR netto und ist erwerbstätig, stehen für den Kindesunterhalt im Hinblick auf den Selbstbehalt von 1.160 EUR noch 40 EUR für den Kindesunterhalt zur Verfügung. Ist er nicht erwerbstätig, verbleiben im Hinblick auf den Selbstbehalt von 960 EUR = 240 EUR für den Kindesunterhalt.
Wie viel Unterhalt bei 1.300 EUR netto?
Verfügt der unterhaltspflichtige Elternteil über 1.300 EUR netto und ist erwerbstätig, stehen für den Kindesunterhalt im Hinblick auf den Selbstbehalt von 1.160 EUR noch 140 EUR für den Kindesunterhalt zur Verfügung. Ist er nicht erwerbstätig, verbleiben im Hinblick auf den Selbstbehalt von 960 EUR = 340 EUR für den Kindesunterhalt.
Wie viel Unterhalt bei 1.400 EUR, 1.500 EUR usw. netto?
Bei einem Einkommen von 1.400 EUR oder 1.500 EUR usw. erhöhen sich die für den Kindesunterhalt verfügbaren Beträge um jeweils weitere 100 EUR.
Lohnen sich Unterhaltsforderungen für ganz kleine Summen?
Ob es sich lohnt, Unterhaltsforderungen für ganz kleine Summen zu stellen, hängt davon ab, wie viel Unterhalt letztlich gezahlt werden kann und ob sich der Aufwand rechnet, einen eventuell geringen verfügbaren Betrag tatsächlich gegebenenfalls auch noch gerichtlich geltend zu machen.
Praxisbeispiel
40 EUR Unterhalt fordern?
Das bereinigte Nettoeinkommen des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen beträgt 1.200 EUR. Sein Selbstbehalt beträgt 1.160 EUR. Für den Kindesunterhalt stehen also noch 40 EUR zur Verfügung. Im Jahr ergeben sich 480 EUR. Sind Sie nach der Trennung und Scheidung auf jeden Euro angewiesen, sind 480 EUR sicherlich viel Geld. Es würde sich also sehr wohl lohnen, diesen Betrag notfalls auch gerichtlich geltend zu machen.
Auch ein Unterhaltsverfahren bei Gericht kostet Gebühren. Wegen des Anwaltszwangs müssen Sie einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin beauftragen, die Unterhaltsklage beim Familiengericht einzureichen. Können Sie aufgrund ihres geringen Einkommens die Verfahrensgebühren nicht bezahlen, sollten Sie staatliche Verfahrenskostenhilfe beantragen. Dann übernimmt im Regelfall die Staatskasse die Gebühren für das gerichtliche Verfahren. Insoweit haben Sie kein finanzielles Risiko, auch 480 EUR Kindesunterhalt gerichtlich einzuklagen.
Ob Sie im Hinblick auf den Selbstbehalt und das für den Unterhalt verfügbare Einkommen des Unterhaltspflichtigen auf Ihrer Forderung bestehen und bereit sind, diese gegebenenfalls auch gerichtlich durchzusetzen, hängt vom Aufwand und dem realistischerweise zu erwartenden Ergebnis ab. Verweigert der Unterhaltspflichtige jegliche Zahlung, werden Sie in letzter Konsequenz den Unterhalt gerichtlich einklagen müssen.
Wenn sich dann im Ergebnis beispielsweise 60 Euro Ehegattenunterhalt ergeben, steht der Aufwand nicht unbedingt im Verhältnis zum Ertrag, auch wenn die Bagatellgrenze vielleicht überschritten ist. Ihr Rechtsanwalt wird Sie also darauf hinweisen, dass für Unterhaltsforderungen, die sich an der Bagatellgrenze von etwa 50 EUR oder 10 % Ihres Nettoeinkommens bewegen, ein hohes prozessuales Risiko besteht, dass der Unterhaltswunsch vom Familiengericht zurückgewiesen wird.
GUT ZU WISSEN
Unterhalt zur Not zwangsvollstrecken
Ein weiterer Aspekt besteht darin, ob Sie realistische Chancen haben, dass der Unterhaltspflichtige den rechtsverbindlich festgestellten Unterhaltsbetrag tatsächlich auch bezahlt. Selbst wenn über den Selbstbehalt hinaus Einkommen für den Unterhalt verfügbar ist, müssen Sie Ihren Anspruch möglicherweise zwangsweise vollstrecken. Auch die Zwangsvollstreckung sollten Sie unbedingt Ihrem Rechtsanwalt oder Ihrer Rechtsanwältin überlassen. Wird die Zwangsvollstreckung kompetent betrieben, lassen sich meist auch Ergebnisse erzielen.
Alles in allem
Insgesamt kommt es also auf eine Reihe von Umständen an, ob es sich lohnt, geringe Unterhaltsleistungen tatsächlich einzufordern. Sofern Sie aber bereits am Anfang kapitulieren, vergeben Sie sich aller Chancen, ein Ergebnis zu erreichen, das vielleicht doch eine gewisse Erfolgsaussicht hat. Wegen Ihrer Chancen lassen Sie sich möglichst frühzeitig anwaltlich beraten. Um herauszufinden, wie hoch der Unterhaltsbetrag in Ihrem Fall konkret ist, können Sie den Unterhalt individuell berechnen lassen.