Mit dem Wechselmodell wird das Idealbild der Betreuung des gemeinsamen Kindes nach der Scheidung der Eltern assoziiert. Theorie und Wirklichkeit klaffen aber oft auseinander. Viele Eltern fühlen sich durch die ständig wechselnde Betreuung überfordert und können sich das Wechselmodell nicht wirklich leisten. Auch wenn es keine verlässlichen Statistiken für Deutschland gibt, scheint es doch so zu sein, dass das Wechselmodell eher ein Modell für besserverdienende Elternteile ist, die allein aufgrund ihrer Einkommenssituation nicht unbedingt auf Unterhaltszahlungen angewiesen sind.
Wechselmodell erfordert Kompromisse
Beim Wechselmodell geht es darum, dass beide Elternteile nach der Trennung und Scheidung das Kind gleichermaßen betreuen. Es verwirklicht den Ansatz, dass jeder Elternteil das Recht hat, den Umgang mit dem Kind zu pflegen und umgekehrt jedes Kind das Recht hat, Umgang mit jedem seiner Elternteile zu haben. Eltern und Kind sollen die Chance haben, gemeinsam das Leben zu meistern. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sich die Eltern nach der Scheidung zwangsläufig verständigen. Ein Wechselmodell lässt sich gegen den Willen eines Elternteils nicht erzwingen. Vor allem kann das Wechselmodell nicht gerichtlich zu dem Zweck angeordnet werden, eine Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Elternteile erst herbeizuführen. Ist das Verhältnis der Eltern konfliktbelastet, liegt ein Wechselmodell in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes und lässt sich gerichtlich nicht erzwingen. Jeder Zwang wäre für alle Beteiligten kontraproduktiv.
Da das Wohl des Kindes Maßstab ist, funktioniert das Wechselmodell in der Praxis nur, wenn die Eltern überhaupt in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Nur so schaffen sie die Voraussetzungen, unter denen sich das Wechselmodell im Lebensalltag von Eltern und Kind überhaupt handhaben lässt. Ohne Kompromisse geht nichts.
Beim Wechselmodell erhöht sich der finanzielle Aufwand
Selbst wer den Willen hat und sich in der Lage sieht, das Wechselmodell organisatorisch umzusetzen, sieht sich einem erhöhten finanziellen Aufwand ausgesetzt. Wer ein Kind halbwegs angemessen betreuen möchte, benötigt eine angemessene Wohnung, in der für das Kind idealerweise ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht. Auch wenn Kleinkinder vielleicht noch im elterlichen Bett oder in einer Zimmerecke übernachten können, wird sich ein größeres Kind nur für das Wechselmodell begeistern lassen, wenn es Rückzugsmöglichkeiten hat.
Vieles muss doppelt angeschafft werden. Kein Elternteil kann vom anderen verlangen, dass er die Wäsche allein wäscht. Wer wäscht, braucht oft auch einen Trockner. Wer nicht täglich einkaufen kann, braucht eine Gefriertruhe. Wer das Kind beschäftigen will, braucht Spielzeug, kann vielleicht kaum auf Fernseher und Spielkonsole verzichten und muss die Voraussetzungen schaffen, das Kind vernünftig zu bekochen und zu ernähren. All die Kleinigkeiten, die den Lebensalltag bestimmen, stellen erhebliche Kostenfaktoren dar, die sich in der Summe addieren. Ein Elternteil, der das Kind zwei Wochen im Monat betreut, kann auch nicht erwarten, dass der andere allein die nötige Kleidung kauft, Schulbücher bezahlt, Mitgliedschaften im Verein finanziert oder Kinobesuche ermöglicht.
Ein Wechselmodell bedarf der Organisation
Der eigentliche Aufwand dürfte aber darin bestehen, den ständigen Hin- und Herwechsel zu bewerkstelligen. Wer durch die halbe Stadt oder in eine andere Stadt fahren muss, um das Kind beim anderen Elternteil abzuholen oder zurückzubringen, muss Fahrtkosten finanzieren oder den Sprit für das eigene Fahrzeug bezahlen. Sind die Elternteile berufstätig, stehen sie vor der Herausforderung, berufliche Anforderungen mit der Betreuung des Kindes koordinieren zu müssen. Wer das Kind den halben Monat betreut, wird aller Regel nach berufliche Abstriche machen müssen. Aus der Praxis ist bekannt, dass vorwiegend Väter nach der Trennung ihr Recht auf die hälftige Betreuung ihres Kindes durchsetzen wollen. Da viele beruflich angespannt sind, ist es alles andere als eine Seltenheit, wenn sie ihr wechselndes Umgangsrecht schnell wieder aufgeben und die Betreuung lieber dem anderen Elternteil überlassen.
Beim Wechselmodell fehlt es am Barunterhalt
Derjenige Ehepartner, der das Kind in seinem Haushalt betreut, erfüllt seine Unterhaltspflicht durch die Betreuung des Kindes. Der andere, der das Kind nicht regelmäßig betreut und nur den Umgang wahrnimmt, leistet Barunterhalt. Beim Wechselmodell gibt es den einen betreuenden Elternteil nicht mehr. Ein echtes Wechselmodell, bei dem die Elternteile das Kind gleichermaßen regelmäßig betreuen, führt zwangsläufig dazu, dass der jeweils betreuende Elternteil seine Pflicht allein durch die Pflege und Erziehungsleistung nicht erfüllt. Daher führt die Kinderbetreuung für keinen der beiden Elternteile dazu, von der Barunterhaltspflicht befreit zu werden. Sonst wären beide Elternteile nämlich vom Barunterhalt befreit, obwohl durch die abwechselnde Betreuung nur der Betreuungsbedarf des Kindes gedeckt wäre.
Schulden deshalb beide Elternteile Barunterhalt, müssen beide Elternteile nach Maßgabe ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Kindesunterhalt beitragen. Verständigen sich die Elternteile also auf ein Wechselmodell, verzichtet derjenige Elternteil, der das Kind eigentlich überwiegend betreuen könnte, auf einen Teil des Barunterhalts durch den anderen Elternteil. Diesen Teil muss er aus eigener Tasche kompensieren.
Nur das paritätische Wechselmodell entlastet den barunterhaltspflichtigen Elternteil
Nur wenn das Kind in etwa gleich langen Phasen bei beiden Elternteilen lebt, entfällt die klassische Rollenverteilung, bei der ein Elternteil betreut und der andere Unterhalt zahlt. Ein Wechselmodell wird nicht anerkannt, wenn das Kind etwa ein Drittel der Zeit vom barunterhaltspflichtigen Elternteil betreut wird (BGH FamRZ 2006, 1015), auch nicht, wenn er es regelmäßig an fünf von 14 Tagen sowie in der Hälfte der Schulferien betreut (BGH FamRZ 2007, 707). In diesem Fall bleibt der barunterhaltspflichtige Elternteil verpflichtet, den vollen Barunterhalt zu zahlen.
Erfahrungen mit dem Wechselmodell sind subjektiv zu verstehen
Es ist schwierig und scheint kaum sachgerecht, Erfahrungen einzelner Eltern mit dem Wechselmodell als durchgängig positiv oder negativ zu bewerten. Jeder empfindet das Wechselmodell so, wie er es in seiner individuellen Situation handhaben kann. Die finanzielle Ansicht ist dabei oft nur ein Teilaspekt.
Kritisiert wird überwiegend:
- Das Wechselmodell verursache durch den ständigen Wechsel des Kindes von einem zum anderen Elternteil einen erhöhten logistischen und auch kostenmäßigen Aufwand.
- Das Kind sitze ständig auf gepackten Koffern.
- Das Kind fühle sich bei keinem Elternteil wirklich heimisch und geborgen.
- Das Wechselmodell erfordere einen erhöhten Abstimmungs- und Kommunikationsbedarf zwischen den Eltern.
- Da sich die Eltern ständig absprechen müssen und organisatorisch aufeinander angewiesen sind, verschlechtere sich ein oft konfliktbeladenes Verhältnis zusätzlich und führe dazu, dass sich das Wechselmodell als kontraproduktiv erweist und Konflikte auf dem Rücken des Kindes ausgetragen werden.
- Das Wechselmodell beeinträchtige die Kontinuität in der Erziehung des Kindes. Es sei besser, wenn sich der Lebensmittelpunkt des Kindes auf einen Elternhaushalt beschränke.
- Für einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer sei die Umsetzung eines paritätischen Wechselmodells schwierig. Kinderbetreuung und Beruf lassen sich nur bedingt vereinbaren.
- Wohnen die Elternteile in benachbarten Städten, gestaltet sich der Besuch des Kindergartens oder der Schulbesuch des Kindes problematisch.
Positiv bewertet wird gerne:
- Das Kind wächst bei beiden Elternteilen auf, die sich die Betreuungsleistungen und damit den täglich anfallenden Erziehungsaufwand teilen.
- Jeder Elternteil wird seiner Verantwortung für das Kind als Elternteil gerecht.
- Beide Elternteile können gleich viel Zeit mit dem Kind verbringen. Kein Elternteil ist auf ein bloßes Umgangsrecht angewiesen. Das Klischee der Alltagsmutter und des Wochenendvaters wird vermieden. Da das Kind den kurzzeitigen Aufenthalt beim umgangsberechtigten Elternteil nicht mehr als Highlight empfindet, während dem betreuenden Elternteil der vergleichsweise langweilige Alltag verbleibt, vermeidet das Wechselmodell die klassische Aufteilung von Betreuung und Umgangsrecht.
- Da das Kind die Chance hat, bei beiden Elternteilen gleichermaßen aufzuwachsen, erhöht sich seine soziale Kompetenz und damit die Grundlage, zu einem gleichberechtigten Mitglied der Gesellschaft heranzuwachsen. Es fühlt sich nicht mehr allein als Scheidungskind.
- Das Wechselmodell vermeide den gegenseitigen Vorwurf, dass vorwiegend Väter Unterhalt zahlen müssen, wegen des Umgangsrechts auf den oft stundenweisen Umgang oder auf das Wochenende verwiesen werden, ihnen ansonsten aber der Umgang mit dem eigenen Kind verweigert wird.
- Das Umgangsrecht wirke der Tendenz entgegen, dass Jugendämter und Gerichte eher die Interessen der Mütter in den Vordergrund stellen und sich dem Wunsch des Vaters, nach einem angemessen Umgangsrecht oft mit unfairen Mitteln und Methoden widersetzen.
Alles in allem
Die ideale Lösung gibt es nicht. Jedes Wechselmodell ist ein Kompromiss, der menschliche, organisatorische und finanzielle Zugeständnisse beider Elternteile erfordert. Soweit die Eltern das Wohl ihres Kindes zum Maßstab ihres Handelns machen, sollten sie jedoch Wege finden, ihr Kind optimal zu betreuen.