Grundsatz der Eigenverantwortung und Ausnahmen davon
Konkret hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Eigenverantwortung in § 1369 BGB wie folgt geregelt:
"Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehepartner, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Ist er dazu außerstande, hat er gegen den anderen Ehepartner einen Anspruch auf Unterhalt nur nach den folgenden Vorschriften."
Daraus geht eindeutig hervor, dass nach der Scheidung die Eigenverantwortung dem Unterhaltsanspruch vorgeht. Nur dann, wenn der geschiedene Ehepartner aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Unterhalt selber sicherzustellen, kommt nach einer der „folgenden Vorschriften“ ausnahmsweise ein Anspruch in Betracht auf
- Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes, § 1570 BGB
- Unterhalt wegen Alters, § 1571 BGB
- Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen, § 1572 BGB
- Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, § 1573 Abs. 1 BGB
- Aufstockungsunterhalt, § 1573 Abs. 2 BGB
- Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung, § 1575 BGB
- Unterhalt aus Billigkeitsgründen, § 1576 BGB
Hinzu kommt – trotz des Grundsatzes der Eigenverantwortung – ein möglicher Unterhaltsanspruch aufgrund einer Ehe von langer Dauer, also ab ca. 20 Jahren Ehedauer.
Angemessene Erwerbstätigkeit
Aus dem Grundsatz der Eigenverantwortung folgt, dass der geschiedene Ehepartner seinen Lebensunterhalt regelmäßig selber finanzieren muss. Dazu hat er eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben, § 1574 Abs. 1 BGB.
Trotz des Grundsatzes der Eigenverantwortung braucht der geschiedene Ehepartner lediglich eine „angemessene“ Erwerbstätigkeit auszuüben. Was genau unter angemessen zu verstehen ist, wird in § 1574 Abs. 2 Satz 1 BGB definiert, der wie folgt lautet:
"Angemessen ist eine Erwerbstätigkeit, die der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehepartners entspricht, …"
Das hat vor allem folgende zwei praktische Konsequenzen: Zum einen ist ein geschiedener Ehepartner grundsätzlich verpflichtet, auch in einem Job zu arbeiten, der zwar nicht seiner beruflichen Ausbildung entspricht, aber in dem er früher gearbeitet hat. War also der geschiedene Ehepartner trotz eines Universitätsabschlusses nur als einfacher Sachbearbeiter tätig, ist nach der Scheidung eine erneute Stelle als Sachbearbeiter angemessen.
Zum anderen kann sich der geschiedene Ehepartner nicht auf seinen „erheirateten Status“ ausruhen. Vielmehr muss er nach der Scheidung aufgrund der Eigenverantwortung ebenfalls eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben, wobei angemessen auch eine Aushilfstätigkeit sein kann.
Um eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben zu können, muss sich der geschiedene Ehepartner notfalls ausbilden, fortschulen oder umschulen lassen, sofern ein erfolgreicher Abschluss einer solchen Maßnahme zu erwarten ist. Auch insoweit gilt der Grundsatz der Eigenverantwortung.
Fiktive Einkünfte sind solche, die zwar tatsächlich nicht erzielt werden, aber erzielt werden könnten, sofern sich darum ausreichend bemüht werden würde. Da der Grundsatz der Eigenverantwortung es erfordert, dass der geschiedene Ehepartner seinen Lebensunterhalt selber sicherstellt, muss er sich ausreichend um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemühen und dies auch nachweisen können.
Unterbleiben solche Bemühungen, muss sich der geschiedene Ehepartner die fiktiven Einkünfte anrechnen lassen. Sein Unterhaltsanspruch mindert sich also um das, was er bei ausreichenden Bemühungen verdienen könnte.
Anrechnung von fiktiven Einkünften
Speziell bei Aushilfstätigkeiten und schlecht bezahlten Berufen war früher die Berechnung der fiktiven Einkünfte problematisch. Seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat sich das jedoch geändert.
Ausnahmen hiervon sind allerdings möglich, etwa wenn dem geschiedenen Ehepartner keine Vollzeittätigkeit zumutbar ist oder er unter eine der Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn fällt. Dies ändert aber nichts am Grundsatz der Eigenverantwortung.