Wann besteht eine Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber volljährigen Kindern?
Im Unterhaltsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches steht: „Verwandte, die in gerader Linie miteinander verwandt sind, sind gesetzlich verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB). Verwandte in gerader Linie sind Großeltern, Eltern, Kinder und Kindeskinder.“
Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs ist stets, dass die an sich unterhaltsberechtigte Person wirtschaftlich bedürftig und damit außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 BGB). Zugleich muss diejenige Person, die gesetzlich unterhaltspflichtig ist, finanziell in der Lage sein, den Unterhalt zu zahlen (§ 1603 BGB). Liegt das Einkommen der unterhaltspflichtigen Personen unter deren Selbstbehalt, fehlt es an der Leistungsfähigkeit. Die gesetzlich bestehende Unterhaltspflicht geht faktisch ins Leere.
Selbstbehalte schränken Leistungsfähigkeit ein
Der Selbstbehalt einer unterhaltspflichtigen Person, die einem Kind Unterhalt schuldet, beträgt 1.200 EUR, wenn diese erwerbstätig ist und 1.450 EUR, wenn diese nicht erwerbstätig ist. Ihr Selbstbehalt gegenüber einem volljährigen, nicht privilegierten Kind beträgt 1.750 EUR.
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Barunterhalt für Kinder
Kann ein Kind auf Unterhalt verzichten?
Das Gesetz verbietet es ausdrücklich, auf Unterhalt zu verzichten (§ 1614 BGB). Das Verbot besteht unabhängig davon, ob ein minderjähriges Kind oder ob ein volljähriges Kind erklärt, auf den gesetzlich zustehenden Unterhalt verzichten zu wollen. Wie die Unterhaltspflicht in der Praxis gehandhabt wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Unterhaltsverzicht minderjähriges Kind
Ist das Kind minderjährig, wird es durch den betreuenden Elternteil als seinen gesetzlichen Vertreter rechtlich vertreten. Aber auch der vertretungsberechtigte Elternteil hat nicht die Möglichkeit, zu Lasten des betreuten minderjährigen Kindes gegenüber dem unterhaltspflichtigen Elternteil auf die Zahlung des laufenden monatlichen Kindesunterhalts zu verzichten.
Unterhaltsverzicht volljähriges Kind
Ist das Kind volljährig, ist es in vollem Umfang geschäftsfähig und handelt eigenverantwortlich. Aber auch dann kann ein volljähriges Kind nicht erklären, es verzichte auf den ihm gesetzlich zustehenden Kindesunterhalt.
Die Verzichtserklärung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn das Kind aktuell wirtschaftlich nicht bedürftig ist und sich aus eigener Kraft unterhalten kann. Theoretisch bleibt es möglich, dass sich die Gegebenheiten ändern und das Kind doch wieder wirtschaftlich bedürftig wird. Da sich aus dieser Bedürftigkeit eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Eltern ableitet, würde ein Unterhaltsverzicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entgegenstehen.
Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob das Kind ein sogenanntes privilegiertes volljähriges Kind ist oder nicht. Ein volljähriges Kind ist ein privilegiertes Kind und steht damit einem minderjährigen Kind gleich, wenn es noch im Haushalt eines Elternteils lebt und sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet.
Form des Verzichts ist belanglos
Das Gesetz verbietet es, für die Zukunft auf den Unterhalt zu verzichten, und erklärt den Verzicht auf zukünftigen Unterhalt als nichtig. Diese Rechtsfolge der Nichtigkeit ist unabhängig davon, in welcher Form der Verzicht erklärt wird. Es kommt also nicht darauf an, ob das volljährige Kind mündlich, schriftlich, notariell oder vergleichsweise einen Unterhaltsverzicht erklärt. Der Verzicht ist auch dann nichtig, wenn er entgeltlich erfolgt oder der Unterhaltsanspruch nur teilweise beseitigt wird. Es kommt auch nicht darauf an, ob das bedürftige Kind bei der Erklärung wirtschaftlich bedürftig war oder nicht darauf angewiesen war, von einem Elternteil unterhalten zu werden.
Ist ein Vollstreckungsverzicht möglich?
Das Gesetz erklärt den Unterhaltsverzicht für künftig entstehende Unterhaltsansprüche für gegenstandslos. Aus dem gleichen Grund ist auch ein Vollstreckungsverzicht für die Zukunft unwirksam (OLG Zweibrücken, FamRZ 2009, 142). Ein Vollstreckungsverzicht würde die Erklärung beinhalten, gesetzlich begründete Unterhaltsansprüche nicht zwangsweise vollstrecken zu wollen. Da im Ergebnis das Gleiche erreicht würde, kann auch ein Vollstreckungsverzicht kein anderes Ergebnis begründen.
Gleiches gilt für eine Verzichtserklärung im Hinblick auf einen Unterhaltstitel. Das Kind ist im Besitz eines Unterhaltstitels, wenn der Unterhaltsanspruch in einer Jugendamtsurkunde oder durch gerichtlichen Beschluss oder einen gerichtlicher Vergleich rechtsverbindlich festgestellt wurde. Das Kind kann dann nicht erklären, die durch den Unterhaltstitel begründeten Unterhaltsansprüche nicht vollstrecken zu wollen. Ob es seine Ansprüche dann schlicht nicht geltend macht, steht auf einem anderen Blatt.
Welche Ausnahmen kommen trotz des Verbots auf Unterhaltsverzicht in Betracht?
Auch wenn ein gesetzlich begründetes Verbot auf Unterhaltsverzicht besteht, gibt es Ausnahmen.
- Eine praxisrelevante Ausnahme besteht darin, dass die Höhe der Unterhaltspflicht reduziert wird. Wenn allerdings der gesetzlich geschuldete Unterhalt um mehr als ein Drittel unterschritten wird, ist die Vereinbarung in aller Regel nichtig (Kammergericht Berlin, FamRZ 1997, 627). Auch bei einer Unterschreitung um mehr als 20 % ist ein Verzicht nichtig, wenn es dafür nicht nachvollziehbare Gründe gibt (OLG Jena, FamRZ 2014, 1032). Nachvollziehbare Gründe können eigentlich nur darin bestehen, dass das an sich unterhaltsberechtigte volljährige Kind wirtschaftlich nicht so bedürftig ist, als dass es auf die volle Unterhaltszahlung angewiesen wäre. Ergibt sich, dass das Kind in vollem Umfang wirtschaftlich bedürftig ist, dürfte auch eine derartige Unterschreitung von ca. 20 % nichtig sein.
- In Betracht kommen Vereinbarungen, in denen Sie im Hinblick auf Teilbeträge der Unterhaltszahlungen eine zweckgebundene Verwendung absprechen (OLG Köln, FamRZ 1983, 750). Dann handelt sich eben nicht um eine Verzichtserklärung, sondern um eine Vorgabe, wie die Unterhaltszahlung zu verwenden ist.
- Zulässig sind auch Vereinbarungen, welche die gesetzliche Unterhaltspflicht konkretisieren - vorausgesetzt, dass Sie in der Vereinbarung den Unterhaltsanspruch zutreffend bestimmen (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, 1586). Verabreden die Eltern mit dem Kind in Übereinstimmung mit der Düsseldorfer Tabelle die Höhe des Kindesunterhalts, liegt darin kein Unterhaltsverzicht.
Wie vereinbaren Sie mit Ihrem erwachsenen Kind Unterhalt?
Sie können eine individuelle Unterhaltsvereinbarung treffen.
Ist der Unterhaltsverzicht wenigstens für die Vergangenheit erlaubt?
Das Gesetz verbietet den Unterhaltsverzicht nur für die Zukunft. Für in der Vergangenheit begründete Unterhaltsansprüche ist der Verzicht jedoch erlaubt.
Auf Unterhalt für die Vergangenheit verzichten
Ihr volljähriges, 20 Jahre altes Kind studiert. Das Kind hat kein eigenes Einkommen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, dem Kind Unterhalt zu zahlen. Hat das Kind das Studium zum 30. September 2020 aufgenommen, schulden Sie auch ab diesem Zeitraum den Unterhalt. Hat das Kind den Unterhalt jedoch nicht eingefordert, kann es für den betreffenden Zeitraum, in dem es Unterhalt hätte einfordern können, auf den Unterhalt verzichten. Erklärt das Kind beispielsweise am 30. Mai 2021, auf die in der Vergangenheit begründeten Unterhaltsansprüche zu verzichten, erfasst der Verzicht nicht Ansprüche, die nach dem 30. Mai 2021 entstehen. Auf die sodann entstehenden Unterhaltsansprüche kann es allenfalls im Nachhinein erneut verzichten. Das Kind kann aber nicht erklären, künftig keinen Unterhalt mehr einfordern zu wollen. Eine entsprechende Verzichtserklärung wäre rechtlich nichtig und würde damit keine Wirkung entfalten.
Was ist, wenn das volljährige Kind den Unterhalt nicht geltend macht?
Die Situation ist auch anders, wenn das volljährige Kind den gesetzlich begründeten Unterhaltsanspruch schlicht nicht geltend macht. Allein in dem Umstand, dass ein Unterhaltsanspruch nicht eingefordert wird, liegt kein Verzicht (BGH FamRZ 1981, 763).
Diese Situation ist rein praktisch zu betrachten. Das Kind erklärt nicht, auf Unterhalt zu verzichten. Es macht den Unterhalt schlicht nicht geltend. Dann ist das Kind aber nicht gehindert, trotzdem irgendwann den Unterhalt einzufordern. Sind Eltern dem Kind unterhaltspflichtig, müssen sie sich also darauf einstellen, dass das Kind trotzdem den Unterhalt einfordert, auch wenn es den Unterhalt bislang nicht geltend gemacht hat.
Allerdings muss das Kind hierbei gewisse Fristen berücksichtigen: Macht das Kind über einen längeren Zeitraum den Unterhalt nicht geltend, dürfen unterhaltspflichtige Elternteile früher oder später darauf vertrauen, dass der Unterhaltsanspruch tatsächlich nicht eingefordert wird. Man spricht dann davon, dass der Unterhaltsanspruch verwirkt wird. Voraussetzung ist, dass das Kind durch sein Verhalten gezeigt hat, dass es auf den Unterhalt nicht angewiesen ist und die Eltern darauf vertrauen durften, dass die Situation so ist, wie sie sich entwickelt hat.
Vorsicht vor Vorausleistungen von mehr als drei Monaten
Möchten Eltern sich den Aufwand für die monatlichen Überweisungen des Unterhalts an das Kind ersparen, könnten sie den Unterhalt für auch für einen längeren Zeitraum im Voraus überweisen. Allerdings fordert das Gesetz, dass der gewählte Zeitabschnitt angemessen ist (§§ 1614 Abs. II, 760 Abs. II BGB). Die Frage, welcher Zeitraum angemessen ist, hängt mithin von der Zweckbestimmung der Unterhaltszahlungen ab. Unterhalt hat den Zweck, den aktuellen und immer wieder neu entstehenden Lebensbedarf des Kindes abzudecken. Unterhalt hat aber nicht den Zweck, es dem Kind zu ermöglichen, beispielsweise eine größere Anschaffung zu tätigen, die über den normalen Lebensbedarf hinausgeht (z.B. Kauf eines Pkw).
Möchten Eltern den Unterhalt für das volljährige Kind also beispielsweise für sechs Monate im Voraus bezahlen, erscheint die Zahlung wegen der Zweckbestimmung des Unterhalts und dem damit verbundenen Risiko einer Vorauszahlung zweifelhaft. Auch wenn eine spezielle Regelung fehlt, wird teils darauf abgestellt, dass der Unterhalt für ein Kind immer nur für einen Monat im Voraus gezahlt werden darf (Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl. 2018, § 1614 Rn. 16).
Tritt nämlich die Situation ein, dass das Kind unterhaltsbedürftig wird, müssen Eltern den Kindesunterhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut errichten. Es spielt dann keine Rolle, dass sie den Unterhalt für diesen Zeitraum bereits im Voraus bezahlt haben. Ihre Zahlungen werden wahrscheinlich allenfalls für drei Monate angerechnet. Unterhaltspflichtige Elternteile stehen dann für den aktuellen Lebensbedarf ihres volljährigen Kindes erneut in der Verantwortung.
Abfindung des Unterhalts mit einer Einmalzahlung?
Eltern können sich ihrer gesetzlich begründeten Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Kind auch dadurch nicht entledigen, dass sie den Unterhalt in einer Summe als Einmalzahlung leisten und das Kind im Gegenzug auf weiteren Unterhalt verzichtet. Mit dieser Vereinbarung würden sie genauso gegen das gesetzliche Verbot des Unterhaltsverzichts für künftig entstehende Unterhaltsansprüche verstoßen.
Da Unterhaltsansprüche den Zweck haben, den laufenden Lebensbedarf abzudecken, müssten Eltern trotz Ihrer Einmalzahlung erneut Unterhalt zahlen, wenn das Kind danach wirtschaftlich bedürftig wird. Auch eine Absprache, dass das Kind die Einmalzahlung nicht auf einen Schlag verausgabt, sondern für den laufenden Lebensunterhalt verwendet, würde daran nichts ändern, wenn das Kind diese Absprache missachtet und wirtschaftlich bedürftig wird. Einmalzahlungen sollten allenfalls für einen Zeitraum von etwa drei Monaten in Betracht gezogen werden (siehe oben).