Inwieweit regeln Gesetze den Unterhaltsbedarf für behinderte Kinder?
Das Unterhaltsrecht stellt allgemein darauf ab, dass Eltern ihren Kindern gegenüber unterhaltspflichtig sind. Voraussetzung für die Unterhaltspflicht der Eltern ist, dass das Kind bedürftig und der unterhaltspflichtige Elternteil leistungsfähig ist. Leistungsfähig bedeutet, dass ein Elternteil über seinen Selbstbehalt (1.450 EUR) hinaus mehr Geld zur Verfügung hat, als er oder sie zur Deckung des eigenen Lebensbedarfs benötigt.
Die Höhe der Unterhaltspflicht ergibt sich grundsätzlich anhand der Düsseldorfer Tabelle. Abhängig vom „bereinigten Nettoeinkommen“ und dem Alter Ihres Kindes ergibt sich daraus der Kindesunterhalt. Dieser Kindesunterhalt stellt den Regelbedarf dar, der den zusätzlichen Kostenaufwand im Hinblick auf die Behinderung eines Kindes nicht berücksichtigt.
Geht es um den Unterhalt für ein behindertes Kind, findet sich im Unterhaltsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches keine weitergehende Regelung. Auch die Unterhaltssätze in der Düsseldorfer Tabelle gehen vom Regelbedarf eines nicht behinderten Kindes aus. Ist Ihr Kind behindert, fallen durch die oft zusätzlich erforderliche Betreuung und Versorgung Kosten an, die von der Düsseldorfer Tabelle nicht erfasst sind – beispielsweise für den behindertengerechten Umbau Ihrer Wohnung oder regelmäßige Pflegekosten.
Allerdings haben die Gerichte in einer Vielzahl von Einzelfällen Grundsätze herausgearbeitet, nach denen der Unterhaltsbedarf eines behinderten Kindes beurteilt werden kann. Darüber hinaus greifen das Sozialhilferecht und das Steuerrecht die besondere Lebenssituation eines behinderten Kindes auf.
Wie wird der Lebensbedarf eines behinderten Kindes festgestellt?
Unterhalt bemisst sich immer nach dem Lebensbedarf der unterhaltsberechtigten Personen. Geht es um den Unterhalt eines behinderten Menschen, bestimmen die Gerichte den Unterhaltsbedarf entweder abstrakt oder konkret:
Abstrakte Bemessung des Unterhaltsbedarfs
Wird der Unterhaltsbedarf abstrakt beurteilt, ist zunächst auf den Regelbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle abzustellen. Darüber hinaus kann das Kind Mehrbedarf fordern oder Sonderbedarf geltend machen.
Der Mehrbedarf ist ein regelmäßig über einen längeren Zeitraum anfallender Bedarf, der den Regelbedarf übersteigt.Als behinderungsbedingter Mehrbedarf kommen beispielsweise folgende Kosten in Betracht:
- Behinderungsgerechte Ausstattung der Wohnung
- Besondere Medikamente
- Nicht von der Krankenkasse erstattete Selbstbeteiligung
- Körperpflege
- Pflegepersonal
- Rollstuhl
- Erhöhte Fahrtkosten zur Klinik oder Arztbesuche
- Unterbringung im Heim
- Besondere Kleidung
- Besondere Ernährung
- Vergütung eines Betreuers, wenn das Kind dauerhaft betreut wird
Mehrbedarf genau beziffern
Fordern Sie für Ihr Kind Mehrbedarf, müssen Sie den Bedarf im Detail darstellen und möglichst beziffern. Eine pauschale Bezifferung genügt nicht. Allerdings kann im Einzelfall ein detaillierter Sachvortrag insoweit genügen, als das Gericht den Bedarf nach Erfahrungswerten selbst schätzen und damit festsetzen kann.
Zum Ratgeber: Auskunftspflicht des Unterhaltsempfangenden Neben dem Mehrbedarf kann das Kind Sonderbedarf geltend machen. Sonderbedarf ist ein unregelmäßig anfallender, außerordentlich hoher und nicht vorhersehbarer Bedarf. Die Abgrenzung zum Mehrbedarf ist nicht immer leicht und bedarf der Beurteilung im Einzelfall. Lässt sich Sonderbedarf nur schwierig begründen, führen Zweifel dazu, dass der Bedarf allein dem Regelbedarf der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen ist. Insoweit kann es im Einzelfall vorteilhafter sein, den Unterhaltsbedarf als Mehrbedarf darzustellen.
Berufsbedingte Aufwendungen sind weder Mehr- noch Sonderbedarf
Entsteht Mehrbedarf oder Sonderbedarf nur dadurch, dass der betreuende Elternteil eine Erwerbstätigkeit ausüben möchte, handelt es sich weder um Mehrbedarf noch um Sonderbedarf des Kindes. Vielmehr handelt es sich um berufsbedingte Aufwendungen des betreuenden Elternteils (OLG Nürnberg, FamRZ 2004, 1063).
Konkrete Bemessung des Unterhaltsbedarfs
Erscheint eine abstrakt bemessene, pauschale Unterhaltsbestimmung als unangebracht, kann den Unterhalt für Ihr behindertes Kind auch konkret berechnet werden. Früher wurde es beispielsweise anerkannt, dass bei ganzzeitiger Heimunterbringung eines volljährigen behinderten Kindes der konkrete Bedarf bestimmt wurde. Diese Problematik hat an Bedeutung verloren, seit das Angehörigen-Entlastungsgesetz Eltern weitgehend davon befreit, eigene Unterhaltsbeiträge für die Heimunterbringung leisten zu müssen.
Die konkrete Bedarfsbestimmung kommt auch für ältere volljährige Menschen mit Behinderung in Betracht, die sich nicht mehr in einer Ausbildung befinden oder eine solche nicht absolvieren können. Auch, wenn das Kind teilweise im Elternhaus versorgt und gepflegt wird und teilweise in ein Heim geht, kann ein derartig hoher Aufwand durch Eigen- und Fremdbetreuung entstehen, dass eine konkrete Berechnung geboten erscheint. Wie beim Mehrbedarf sind auch hier die tatsächlichen Kosten über einen längeren, repräsentativen Zeitraum im Detail vorzutragen und zu beziffern. Im Zweifelsfall kann das Familiengericht den Kostenaufwand selbst nach eigenen Erfahrungswerten schätzen und festsetzen.
Welcher Elternteil trägt welche Kosten?
Der Elternteil, der das behinderte Kind nach einer Trennung im Haushalt selbst betreut, erfüllt seine Unterhaltspflicht allein mit der Betreuung des Kindes. Der andere Elternteil, der das Kind nicht betreut, ist insoweit barunterhaltspflichtig.
Wenn es allerdings um Sonder- oder Mehrbedarf geht, so haften grundsätzlich beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen für die Mehrausgaben (BGH v. 10.07.2013, Az. XII ZB 298/12).
Und das Kind zu betreuen, darf der betreuende Elternteil auch die Hilfe Dritter (Verwandte, Großeltern, gemeinnützige oder staatliche Institutionen) in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist aber, dass die Betreuungsleistung im Verhältnis zu der Hilfe von dritter Seite überwiegen muss. Ist dies nicht der Fall, muss sich auch der betreuende Elternteil über den Sonder- und Mehrbedarf hinaus auch am Barunterhalt des Kindes beteiligen.
Dabei gilt es die Frage zu beantworten, wann von einer solchen überwiegenden Betreuung die Rede ist. Ist das Kind auswärts untergebracht, wird man eine überwiegende Betreuung annehmen dürfen, wenn das Kind lediglich tagsüber im Heim lebt und abends in den elterlichen Haushalt zurückkehrt (OLG Hamm, FamRZ 1996, 303). Verbringt das Kind seine Zeit lediglich an den Wochenenden oder in den Ferienzeiten zu Hause, kann von einer überwiegenden Betreuung keine Rede mehr sein (OLG Nürnberg, FamRZ 1003, 837).
Wird das Kind im Wechselmodell betreut, sind beide Elternteile barunterhaltspflichtig. Sie zahlen anteilig nach Maßgabe Ihrer Einkommensverhältnisse den Unterhalt für ihr Kind.
Was gilt, wenn das Kind erwachsen wird?
In jedem Fall einen Anspruch auf Unterhalt haben minderjährige Kinder. Bei gesunden Kindern kann sich das aber ändern, wenn die Kinder volljährig werden bzw. ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Wie ist es aber bei Kindern mit Behinderung, die volljährig werden?
Unterhalt, wenn das Kind ausbildungs- und erwerbsfähig ist
Kann Ihr Kind trotz seiner Behinderung die Schule besuchen und eine Berufsausbildung absolvieren, gelten zunächst die allgemeinen Regeln. Danach ist das Kind verpflichtet, seine Ausbildung, insbesondere nach Eintritt der Volljährigkeit, pflichtbewusst zu betreiben. Bezieht das Kind eine Ausbildungsvergütung, ist diese auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen.
Kann das Kind nach Art und Umfang seiner Behinderung trotz pflichtgemäßer Bewerbungsbemühungen keine oder nur eine schlecht bezahlte berufliche Tätigkeit finden, besteht seine Bedürftigkeit zumindest teilweise fort. Insoweit gilt es als bedürftig und unterhaltsberechtigt.
Unterhalt, wenn das Kind erwerbsunfähig ist
Kann das Kind aufgrund seiner Behinderung keine Ausbildung absolvieren und ist erwerbsunfähig,besteht seine Bedürftigkeit über den Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit hinaus fort. Auch wenn das Kind in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, ist der Unterhaltsanspruch anzuerkennen.
Selbst wenn das Kind trotz seiner Erwerbsunfähigkeit, beispielsweise aufgrund einer Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt, eine Vergütung bezieht, wird diese meist nicht auf den Unterhaltsbedarf angerechnet. Vielfach wird argumentiert, dass diese Einkünfte als bloßer Anerkennungsbetrag und nicht als Einkommen zu verstehen sind oder als überobligatorische Einkünfte nicht angerechnet werden müssen (OLG Oldenburg, FamRZ 1996, 6255). Andererseits wird argumentiert, dass jedes tatsächliche Einkommen die Bedürftigkeit mindert, so dass auch das von der Behindertenwerkstatt gezahlte Arbeitsentgelt anrechenbares Einkommen des behinderten Kindes darstellt (OLG Brandenburg, FamRZ 2004, 1063).
Nutzen Sie die Familienversicherung
Ein behindertes Kind ist ohne Altersbegrenzung über die Familienversicherung der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung mitversichert, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Sie und Ihr Kind haben also Anspruch auf eine Reihe von Pflegehilfsmitteln und technischen Hilfen.
Für zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel (Einmalhandschuhe, Betteinlagen) wird eine Pauschale ersetzt, bei inkontinenten Kindern übernimmt die Krankenkasse zusätzlich zu diesem Betrag die Kosten für Windeln. Für technische Hilfsmittel (Lagerungshilfen, Notrufsystem) ist ein in der Höhe begrenzter Eigenanteil zu leisten. Auch für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Umfeldes (Treppenlift, behindertengerechte Ausstattung des Bades) werden Zuschüsse gewährt.
Zum Ratgeber: Krankenversicherung des Kindes und Unterhalt Darf das behinderte Kind Vermögen besitzen?
Ein Kind gilt nur dann als unterhaltsbedürftig, wenn es außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Insoweit ist zumindest das volljährige Kind verpflichtet, seinen Vermögensstamm zu verwerten. Allerdings darf zumindest ein schwerbehindertes Kind, das angesichts der Schwere und der Dauer seiner Erkrankung seinen Lebensunterhalt nicht selbst decken kann, zur Altersvorsorge maßvoll Vermögen bilden (Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.2.2010, Az. VI R 61/08).
Im Fall ging es um ein Kind mit Down-Syndrom. Das Kind war in einer sozialtherapeutischen Hofgemeinschaft untergebracht. Der Großvater hatte ihm zu Lebzeiten ein Mehrfamilienhaus geschenkt. Die Eltern machten in ihrer Einkommensteuererklärung fünfstellige Kosten für die Unterbringung als außergewöhnliche Belastungen geltend.
Der Bundesfinanzhof erkennt außergewöhnliche Belastungen an, wenn sich der Steuerbürger dem Kostenaufwand aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 EStG). Im Fall beurteilte das Gericht die Aufwendungen der Eltern aus rechtlichen Gründen als zwangsläufig. Das Kind müsse die Immobilie nicht verkaufen. Vielmehr dürfe ein Kind, das sich nicht selbst unterhalten kann und bei dem ungewiss ist, ob sein Unterhaltsbedarf im Alter durch Unterhaltsleistungen der Eltern noch gedeckt werden kann, maßvoll Vermögen bilden. Angesichts des außerordentlich hohen Unterhaltsbedarfs des Kindes wäre der Verkaufserlös der Immobilie schnell verbraucht. Deshalb sei es dem Kind nicht zuzumuten, die Immobilie zu verkaufen. Gleiches wurde für eine vermietete, der Altersvorsorge dienende Eigentumswohnung angenommen (OLG Karlsruhe, Az. 2 UF 229/98).
Was gilt bei Unterbringung im Heim?
Muss Ihr Kind im Heim untergebracht werden, zahlt meist der Sozialhilfeträger den Kostenaufwand. Seit Januar 2020 übernimmt die Eingliederungshilfe nach Maßgabe des Bundesteilhabegesetzes den Kostenaufwand für Therapie und persönliche Unterstützung. Kosten für Unterkunft und Verpflegung übernimmt das örtliche Sozialamt.
Besitzt das Kind eigenes Vermögen, darf es ein Schonvermögen von 59.220 EUR für sich behalten. Bezieht das Kind Sozialhilfe bzw. Grundsicherung (Hartz IV), gilt ein Vermögensfreibetrag von 10.000 EUR. Eltern und volljährige Kinder mit Behinderung brauchen nach Maßgabe des Angehörigen-Entlastungsgesetzes seit Januar 2020 keinen eigenen Unterhaltsbeitrag mehr zu leisten, es sei denn, sie verfügen über ein Jahresbruttoeinkommen von über 100.000 EUR.
Was ist der Behinderten-Pauschbetrag?
Das Finanzamt gewährt pauschalen Freibetrag von 7.400 EUR jährlich ab einem Behinderungsgrad von mindestens 50. Als Nachweis gilt der Ausweis des Versorgungsamtes (Behindertenausweis). Anstelle des Behinderten-Pauschbetrages können auch die tatsächlichen, nachgewiesenen Kosten der Behinderung geltend gemacht werden.
Was ist der Pflege-Pauschbetrag?
Wer einen unterhaltsberechtigten Angehörigen in seiner Wohnung unentgeltlich pflegt, kann einen Pflege-Pauschbetrag von 1.800 EUR im Jahr erhalten. Dazu muss die Pflege persönlich geleistet werden. Eine Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst schadet nicht. Die gepflegte Person muss hilflos sein (Merkmal H) oder den Pflegegrad 4 oder 5 haben. Für den Pflegegrad 3 gibt es einen Pauschbetrag von 1.100 EUR , für den Pflegegrad 2 in Höhe von 600 EUR . Den Pflege-Pauschbetrag gibt es auch, wenn der behinderte Mensch in einem Heim untergebracht ist und nur an den Wochenenden zu Hause in der Familie gepflegt wird. Allerdings haben Sie keinen Anspruch auf den Pauschbetrag, wenn Sie für Ihre Pflege das Pflegegeld erhalten.
Leben Sie getrennt und haben Anspruch auf Trennungsunterhalt oder nachehelichen Ehegattenunterhalt, wird das Pflegegeld nicht als Einkommen auf den Unterhaltsanspruch angerechnet.