Was ist die gesetzliche Rangfolge der Unterhaltsansprüche?
Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden und kann der Pflichtige nicht allen Unterhalt gewähren, gilt die in § 1609 BGB festgelegte Rangfolge der Unterhaltsansprüche. Dabei sind die Unterhaltsansprüche der vorrangig Bedürftigen zuerst zu befriedigen, während anschließend die Unterhaltsforderungen der nachrangig Berechtigten auszugleichen sind. Dabei besteht folgende gesetzliche Rangfolge:
Mangelfall: Fehlende Leistungsfähigkeit des Pflichtigen
Verfügt der Pflichtige nicht über die Leistungsfähigkeit, den Unterhalt für alle Berechtigten zu zahlen, liegt ein sogenannter Mangelfall vor. Hier müssen Sie zwischen dem einfachen und dem absoluten Mangelfall unterscheiden.
Reicht das Einkommen des Pflichtigen nicht zur Abdeckung aller Unterhaltsansprüche aus, muss sich derjenige, der sich auf einem nachfolgenden Rang befindet, mit dem Rest zufrieden geben bzw. erhält gar keinen Barunterhalt. Bei dieser Konstellation, bei der die gesetzliche Rangfolge zum Tragen kommt, liegt ein einfacher Mangelfall vor.
Speziell bei mehreren auf den obersten Rang stehenden minderjährigen und privilegierten volljährigen Kindern kann es vorkommen, dass das Einkommen des Pflichtigen bereits für den Ausgleich dieser Unterhaltsansprüche nicht ausreicht. Dann ist ein absoluter Mangelfall gegeben, bei dem eine sogenannte Mangelfallberechnung durchzuführen ist.
Im Zuge dieser Berechnung ist zu berücksichtigen, dass dem Pflichtigen ein unantastbares Existenzminimum (Eigenbedarf) verbleiben muss, damit er seinen eigenen Lebensunterhalt finanzieren kann. In Höhe dieses Eigenbedarfs ist der Pflichtige nicht leistungsfähig, so dass er nicht imstande ist, die Bedürftigkeit der Berechtigten auszugleichen. Der notwendige Eigenbedarf gegenüber den minderjährigen und privilegierten volljährigen Kindern beträgt derzeit (Stand: 1. Januar 2024)
- 1.200 EUR monatlich, wenn der Pflichtige nicht erwerbstätig ist
- 1.450 EUR monatlich, wenn der Pflichtige einer Erwerbstätigkeit nachgeht
Daher ist bei der Mangelfallberechnung vom Einkommen des Pflichtigen zuerst dessen Eigenbedarf abzuziehen. Der verbleibende Betrag ist sodann auf die Kinder zu verteilen. Da die Verteilung entsprechend dem Bedarf der Kinder in den jeweiligen Altersgruppen der Düsseldorfer Tabelle erfolgt, erhalten die älteren Kinder mehr als die jüngeren.
Wie lautet die gesetzliche Rangfolge der Unterhaltsansprüche im Einzelnen?
Zu den Besonderheiten bei den einzelnen Rangstufen und den sich daraus ergebenden Auswirkungen in der Praxis sollten Sie unbedingt Folgendes wissen:
1. Rang: Minderjährige und ihnen gleichgestellte privilegierte volljährige Kinder, § 1609 Nr. 1 BGB
Auf dem 1. Rang stehen die minderjährigen unverheirateten Kinder und die ihnen gleichgestellten privilegierten volljährigen Kinder, also nach § 1603 Abs. 2 BGB die volljährigen unverheirateten Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Die Unterhaltsansprüche dieser Kinder sind gegenüber allen anderen Unterhaltsforderungen vorrangig.
Dieser Vorrang gilt für alle leiblichen und adoptierten Kinder des Pflichtigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die leiblichen Kinder ehelich oder nichtehelich sind oder aber aus verschiedenen Ehen stammen.
Da die Unterhaltsansprüche der minderjährigen und privilegierten volljährigen Kinder gegenüber allen anderen Unterhaltsforderungen vorrangig sind, muss der Pflichtige diese Ansprüche zuerst bedienen. Gegenüber den minderjährigen Kindern besteht zudem eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit, wonach der Pflichtige den Mindestunterhalt sicherstellen muss (etwa durch Aufnahme eines zusätzlichen Mini-Jobs oder Wechsel auf einen besser bezahlten Arbeitsplatz).
Probleme können sich regelmäßig ergeben, wenn weitere Kinder aus einer neuen Beziehung hinzutreten. Denn in diesem Fall verringert sich regelmäßig der Unterhalt für die vorhandenen Kinder, da die für den Kindesunterhalt maßgebliche Düsseldorfer Tabelle nur für eine bestimmte Anzahl Unterhaltsberechtigter ausgelegt ist. Gehen nun weitere Kinder aus einer neuen Beziehung hervor, verringert sich für jedes vorhandene Kind der Tabellenunterhalt.
Einkommensstufe | Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen | Altersstufen in Jahren 1-5 | 6-11 | 12-17 | Ab 18 | Prozentsatz | Bedarfskontrollbetrag |
---|
1 | bis 2.100 EUR | 480 EUR | 551 EUR | 645 EUR | 689 EUR | 100 % | 1.200/1.450 EUR |
2 | 2.101 - 2.500 EUR | 504 EUR | 579 EUR | 678 EUR | 724 EUR | 105 % | 1.750 EUR |
3 | 2.501 - 2.900 EUR | 528 EUR | 607 EUR | 710 EUR | 758 EUR | 110 % | 1.850 EUR |
4 | 2.901 - 3.300 EUR | 552 EUR | 634 EUR | 742 EUR | 793 EUR | 115 % | 1.950 EUR |
5 | 3.301 - 3.700 EUR | 576 EUR | 662 EUR | 774 EUR | 827 EUR | 120 % | 2.050 EUR |
6 | 3.701 - 4.100 EUR | 615 EUR | 706 EUR | 826 EUR | 882 EUR | 128 % | 2.150 EUR |
7 | 4.101 - 4.500 EUR | 653 EUR | 750 EUR | 878 EUR | 938 EUR | 136 % | 2.250 EUR |
8 | 4.501 - 4.900 EUR | 692 EUR | 794 EUR | 929 EUR | 993 EUR | 144 % | 2.350 EUR |
9 | 4.901 - 5.300 EUR | 730 EUR | 838 EUR | 981 EUR | 1.048 EUR | 152 % | 2.450 EUR |
10 | 5.301 - 5.700 EUR | 768 EUR | 882 EUR | 1.032 EUR | 1.103 EUR | 160 % | 2.550 EUR |
11 | 5.701 - 6.400 EUR | 807 EUR | 926 EUR | 1.084 EUR | 1.158 EUR | 168 % | 2.850 EUR |
12 | 6.401 - 7.200 EUR | 845 EUR | 970 EUR | 1.136 EUR | 1.213 EUR | 176 % | 3.250 EUR |
13 | 7.201 - 8.200 EUR | 884 EUR | 1.014 EUR | 1.187 EUR | 1.268 EUR | 184 % | 3.750 EUR |
14 | 8.201 - 9.700 EUR | 922 EUR | 1.058 EUR | 1.239 EUR | 1.323 EUR | 192 % | 4.350 EUR |
15 | 9.701 - 11.200 EUR | 960 EUR | 1.102 EUR | 1.290 EUR | 1.378 EUR | 200 % | 5.050 EUR |
Darüber hinaus kann es sein, dass beim Hinzutreten weiterer Kinder die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen nicht mehr gegeben ist. Ist dieser trotz seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit nicht imstande, alle erstrangigen Unterhaltsansprüche abzudecken, liegt ein absoluter Mangelfall vor. Damit kann ein aus einer neuen Beziehung hervorgegangenes Kind dazu führen, dass zur Abdeckung der Unterhaltsansprüche für alle Kinder eine Mangelfallberechnung durchzuführen ist.
2. Rang: Elternteile, Ehepartner und geschiedene Ehepartner, § 1609 Nr. 2 BGB
Den 2. Rang belegen:
- Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder es im Falle einer Scheidung wären (also Anspruch auf Betreuungsunterhalt für ein Kind haben, der mindestens bis zum vollendeten 3. Lebensjahr des Kindes besteht), wobei ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt auch für nicht verheiratete Elternteile bestehen kann
- Ehepartner und geschiedene Ehepartner bei einer Ehe von langer Dauer (also ab 15 Jahren Ehe), wobei auch die ehebedingten Nachteile zu berücksichtigen sind
Diese Rangstufe wirkt sich in der Praxis vor allem dann aus, wenn der Berechtigte in einer Ehe mit einem Kind von bis zu drei Jahren oder in einer Ehe von langer Dauer lebt und sich einer neuen Beziehung zuwendet, aus der ein Kind hervorgeht. Die Unterhaltsansprüche der Ehefrau stehen dann gleichrangig neben den Unterhaltsansprüchen der Kindesmutter aus der neuen Beziehung. Aber auch in dem Fall, dass zuerst aus einer außerehelichen Beziehung ein Kind hervorgegangen ist und der Pflichtige nachfolgend mit seiner gerade erst geheirateten Ehefrau ein gemeinsames Kind zeugt, können die Ansprüche auf Betreuungsunterhalt der nichtehelichen Kindermutter und der Ehefrau gleichrangig sein. Dies gilt ebenso, wenn der Pflichtige nacheinander mit zwei verschiedenen Kindesmüttern jeweils ein nichteheliches Kind hat und den Müttern jeweils Betreuungsunterhalt zusteht.
Umgekehrt kann von solchen Fallgestaltungen auch der bedürftige Ehemann bzw. Kindesvater betroffen sein.
Im Übrigen mindert sich der Unterhaltsanspruch der Berechtigten im 2. Rang dadurch, dass der Pflichtige vorrangig für das nun vorhandene Kind Unterhalt zahlen muss.
3. Rang: Ehepartner und geschiedene Ehepartner, die nicht unter den 2. Rang fallen, § 1609 Nr. 3 BGB
Im 3. Rang sind die Ehepartner einzuordnen, die nicht unter den 2. Rang fallen. Dazu gehören im Wesentlichen die Fälle, in denen Anspruch auf Trennungsunterhalt oder nachehelichen Unterhalt besteht, ohne dass ein gemeinsames Kind zu betreuen ist oder die Ehe von langer Dauer war.
Die praktische Konsequenz aus dieser Rangfolge ist, dass eine neue Partnerin des Pflichtigen den Unterhaltsanspruch der kinderlosen getrenntlebenden oder geschiedenen Ehefrau verdrängen kann. Voraussetzung dafür ist, dass aus der Beziehung des Pflichtigen mit der neuen Partnerin ein eheliches oder nichteheliches Kind hervorgegangen ist und der Pflichtige der Kindesmutter Betreuungsunterhalt schuldet. Ist die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen beschränkt, kann das sogar den völligen Verlust des Unterhaltsanspruchs der getrenntlebenden oder geschiedenen Ehefrau zur Folge haben, zumal auch noch – zusätzlich – vorrangiger Unterhalt für das zu betreuende Kind zu zahlen ist. Das gilt ebenfalls, wenn die getrenntlebende oder geschiedene Ehefrau zwar einen sonstigen Unterhaltsanspruch hat, aber die Ehe nicht von langer Dauer war.
4. Rang: Kinder, die nicht unter den 1. Rang fallen, § 1609 Nr. 4 BGB
Nicht unter den 1. Rang, sondern unter den 4. Rang fallen Kinder, die
Speziell für Studierende ist diese Rangfolge von erheblicher Bedeutung. Sind weitere Unterhaltsberechtigte auf dem 1. und / oder 2. Rang vorhanden oder treten neu hinzu, wird das studierende volljährige Kind mangels Leistungsfähigkeit der pflichtigen Eltern regelmäßig leer ausgehen.
Unterhaltsansprüche von volljährigen und aufgrund einer Behinderung eingeschränkt oder nicht erwerbsfähigen Kindern müssen Eltern jedoch eher nicht befürchten. Ist das volljährige Kind aufgrund körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung nicht in der Lage, den Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit oder eigenem Vermögen zu finanzieren, ist der eigene Anspruch des volljährigen Kindes auf Grundsicherung nach dem XII Sozialgesetzbuch (SGB) vorrangig gegenüber dem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern, sofern das Brutto-Gesamteinkommen der Eltern nicht über 100.000 EUR pro Jahr liegt.
5. Rang: Enkelkinder und deren Abkömmlinge, § 1609 Nr. 5 BGB
Der 5. Rang beinhaltet die Unterhaltsansprüche der Enkelkinder und Urenkelkinder. Damit stehen Enkel und Urenkel gleichrangig nebeneinander.
Unterhaltsansprüche von Enkelkindern sind eher selten. Sie können aber in Betracht kommen, wenn die vorrangigen Pflichtigen ausfallen.
6. Rang: Eltern, § 1609 Nr. 6 BGB
Die Eltern des Unterhaltspflichtigen stehen auf dem 6. Rang. Vor dem Hintergrund, dass Senioren immer öfter in Pflege- und Altersheimen untergebracht werden, hat der Gesetzgeber die Eltern mit einem gesonderten Rang versehen.
Ab dem 65. Lebensjahr besteht für die Eltern ebenfalls ein gegenüber dem Unterhaltsanspruch vorrangiger Anspruch auf Grundsicherung nach dem XII SGB, sofern diese ihren Lebensunterhalt nicht selber bestreiten können und das Brutto-Gesamteinkommen des Pflichtigen sich nicht auf über 100.000 EUR jährlich beläuft.
7. Rang: Weitere verwandte der aufsteigenden linie, § 1609 Nr. 7 BGB
Der 7. und letzte Rang umfasst die Unterhaltsansprüche der Verwandten in aufsteigender Linie, wobei nähere Verwandte den entfernteren vorgehen. Gemeint sind damit Großeltern, Urgroßeltern und weitere Verwandte in gerader, aufsteigender Linie.
Gesetzliche Unterhaltsansprüche
Die in § 1609 BGB festgesetzte Rangfolge betrifft ausschließlich die gesetzlichen Unterhaltsansprüche. Vertragliche Unterhaltsverpflichtungen sind daher von der gesetzlichen Rangfolge ausgenommen, soweit dadurch die gesetzliche Rangfolge nicht unterlaufen wird oder der Berechtigte Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss
Zum Ratgeber: Unterhaltsvereinbarung