25 Dinge, die im deutschen Unterhaltsrecht einzigartig sind

Freitag, 11.08.2023 , geschrieben von iurFRIEND-Redaktion

Unterhaltspflichten sind im deutschen Unterhaltsrecht detailliert geregelt. Vergleicht man die Regelungen mit dem, was im Ausland unterhaltsrechtlich zu erwarten ist, könnte man getrost behaupten, das deutsche Unterhaltsrecht sei mehr oder weniger einzigartig. Bei genauer Betrachtung sollte bewusst werden, dass wir in Deutschland vielleicht nicht unbedingt im Schlaraffenland leben, es aber dennoch vielfältige Unterstützungsleistungen gibt, wenn Unterhaltsbedarf besteht.

GUT ZU WISSEN

Kein Anspruch auf Vollständigkeit

Inwieweit es auch in anderen Staaten dem deutschen Unterhaltsrecht vergleichbare Regelungen gibt, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. Hierzu käme es darauf an, das deutsche Unterhaltsrecht mit ausländischen Rechtsvorschriften zu vergleichen. Ziel dieses Beitrags ist es, aufzuzeigen, welche Regelungen das deutsche Unterhaltsrecht zumindest einzigartig erscheinen lassen, unabhängig davon, ob es im Ausland vergleichbare Regelungen gibt.

1. Kind hat Anspruch auf Mindestunterhalt

Ein minderjähriges Kind kann von einem Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, den Unterhalt als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts verlangen. Der Mindestunterhalt wird vom Gesetzgeber regelmäßig neu bestimmt. Er ist mithin Grundlage der Düsseldorfer Tabelle.

2. Barunterhalt und Betreuungsunterhalt sind gleichwertig

Wird das Kind von einem Elternteil betreut und beherbergt, sind Kost, Logis und Betreuung unterhaltsrechtlich dem Barunterhalt gleichgestellt. Der betreuende Elternteil braucht insoweit keinen Barunterhalt zu leisten und braucht sich auch nicht vorhalten zu lassen, der eigene Beitrag zum Unterhalt des Kindes sei zu gering.

3. Jugendamtsurkunde zur Anerkennung der Unterhaltspflicht

Im Idealfall erkennt der unterhaltspflichtige Elternteil seine Unterhaltspflicht in einer Jugendamtsurkunde rechtsverbindlich und gebührenfrei an. Damit bleibt dem Beteiligten ein Unterhaltsprozess bei Gericht erspart.

4. Kinder haben Anspruch auf Ausbildungsunterhalt

Im Regelfall endet die Unterhaltsverpflichtung mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes. Um dem Kind eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen, bleiben Eltern verpflichtet, dem Kind eine angemessene Ausbildung zu bezahlen.

5. Kindesunterhalt endet nicht, wenn Elternteil im Ausland lebt

Das deutsche Rechtssystem endet normalerweise an der deutschen Staatsgrenze. Um Kindesunterhalt auch dann durchsetzen, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil im Ausland lebt, haben sich 130 Staaten in aller Welt darauf verständigt, sich gegenseitig in Unterhaltssachen zu unterstützen. In nahezu allen diesen Ländern stehen Zentrale Behörden als Ansprechpartner zur Verfügung, die dabei helfen, den Unterhalt zu realisieren. Zentrale Behörde in Deutschland ist das Bundesamt für Justiz.

6. Verfahrenskostenvorschuss durch den Ex-Partner

Fehlt dem unterhaltsberechtigten Ex-Partner oder Kind die notwendige Liquidität, um den Unterhalt einzuklagen, ist der Ex-Partner verpflichtet, einen Verfahrenskostenvorschuss zu entrichten. Dies gilt auch dann, wenn er/sie insoweit das Verfahren gegen sich selbst finanzieren muss.

7. Vereinfachtes Verfahren beim Kindesunterhalt

Kindesunterhalt kann in einem normalen gerichtlichen Unterhaltsverfahren, aber auch in einem „vereinfachten Verfahren“ bei Gericht geltend gemacht werden. Zweck ist, dem unterhaltsberechtigten Kind schnell zu einem Vollstreckungstitel zu verhelfen. Der unterhaltpflichtige Elternteil ist verpflichtet, sich zu seiner Unterhaltsbereitschaft zu erklären. Beruft er sich auf fehlende Leistungsfähigkeit, muss er/sie Auskunft über die Einkommensverhältnisse erteilen und diese belegen. Nicht rechtzeitig vorgebrachte Einwendungen können nicht nachgeholt werden.

8. Anspruch auf Beratungshilfe und Verfahrenskostenhilfe

Auch in unterhaltsrechtlichen Angelegenheiten besteht Anspruch auf außergerichtliche Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt sowie Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe, wenn der Unterhaltsanspruch gerichtlich eingeklagt werden muss. In beiden Fällen übernimmt der Staat weitgehend die Kosten für Anwalt und Gericht.

9. Bereinigtes Nettoeinkommen als Grundlage der Unterhaltsberechnung

Der Unterhalt bemisst sich nach dem sogenannten bereinigten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen. Es ergibt sich aus dem Bruttoeinkommen, das um Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Aufwendungen und eheprägende Verbindlichkeiten reduziert, spricht bereinigt werden darf.

10. Erwerbstätigenbonus zur Motivation, weiter arbeiten zu gehen

Geht es um den Trennungs- oder Ehegattenunterhalt, ist bei der Berechnung des bereinigten Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen ein Erwerbstätigenbonus von einem Zehntel zu berücksichtigen. Grund ist, dass der erwerbstätige Unterhaltspflichtige motiviert wird, trotz seiner Unterhaltspflicht ausreichend Geld zu verdienen.

11. Wohnwertanrechnung

Lebt der Unterhaltspflichtige im eigenen Haus, erspart er/sie sich die Kosten für eine Mietwohnung. Der Wohnvorteil durch mietfreies Wohnen im Eigenheim ist als wirtschaftliche Nutzung des Vermögens unterhaltsrechtlich wie Einkommen zu behandeln. Ein Wohnvorteil liegt aber nur vor, wenn der Wohnwert den Schuldendienst (Zins und Tilgung) und die verbrauchsunabhängigen Nebenkosten, mit denen ein Mieter üblicherweise nicht belastet wird, übersteigt.

12. Fiktives Einkommen

Der Unterhaltspflichtige ist verpflichtet, seine Arbeitskraft bestmöglich einzusetzen, um das notwendige Einkommen für den Unterhalt zu verdienen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind. Tut er dies in vorwerfbarer Art und Weise nicht, muss er oder sie sich ein theoretisch erzielbares, fiktives Einkommen anrechnen lassen. Dies wird vornehmlich relevant, wenn sein Einkommen unter dem Selbstbehalt liegt und der Betrag infolge der Anrechnung eines fiktiven Einkommens den Selbstbehalt übersteigt. Dann muss der Unterhalt auch aus dem unter dem Selbstbehalt liegenden Einkommen bedient werden.

13. Selbstbehalte zur Sicherung des eigenen Lebensbedarfs

Wer Unterhalt leisten muss, muss auch selbst leben können. Um den eigenen Lebensbedarf abzudecken, gewährt das Unterhaltsrecht Selbstbehalte. Wer unterhalb des Selbstbehalts verdient, braucht im Regelfall keinen Unterhalt zu leisten. Ungeachtet dessen besteht die Verpflichtung, die eigene Arbeitskraft bestmöglich einzusetzen und möglichst so viel Einkommen zu erzielen, dass der Unterhalt bedient werden kann.

14. Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter

Gibt es mehrere Unterhaltsberechtigte und ist der Unterhaltspflichtige außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, bestimmt das Gesetz eine Rangfolge. Danach sind im ersten Rang minderjährige und privilegierte Kinder zu bedienen. Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind sowie geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer sind im zweiten Rang zu berücksichtigen. Sonstige geschiedene Ehegatten fallen in den dritten und volljährige, nicht privilegierte Kinder in den vierten Rang.

15. Mehrbedarf und Sonderbedarf

Reicht der normale Kindesunterhalt nicht aus, um den Lebensbedarf des Kindes abzudecken, besteht Anspruch auf Mehrbedarf und Sonderbedarf. So ist der Kindergartenbeitrag im Regelfall Mehrbedarf und zwar unabhängig vom Umfang des Besuchs der Einrichtung. Die kieferorthopädische Behandlung zählt als Sonderbedarf.

16. Unterhaltsanspruch der ledigen Mutter

Sind die Eltern eines Kindes nicht verheiratet, hat auch die ledige Mutter für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes Anspruch auf Unterhalt gegen den Vater des Kindes. Darüber hinaus besteht der Unterhaltsanspruch, wenn die Mutter infolge der Schwangerschaft oder Entbindung außerstande ist, eigenes Geld zu verdienen oder für die Dauer von wenigstens drei Jahren eine Erwerbstätigkeit wegen der Pflege und Erziehung des Kindes erwartet werden kann.

17. Familiengerichte sind auskunftsberechtigt

Um den Unterhalt zu bemessen, muss der Unterhaltspflichtige Auskunft über seine Einkommensverhältnisse erteilen sowie entsprechende Belege vorlegen. Tut er oder sie dies nicht, kann das Familiengericht Auskünfte über die Höhe der Einkünfte direkt bei Arbeitgebern, Sozialleistungsträgern, Versicherungsunternehmen oder Finanzämtern anfordern.

18. Unterhaltsvorschuss

Zahlt der unterhaltspflichtige Elternteil kein Kindesunterhalt, springt der deutsche Staat mit Unterhaltsvorschuss ein. So beträgt der Unterhaltsvorschuss für Kinder bis zu fünf Jahren im Jahr 2023 bis zu 187 €, für Kinder bis elf Jahre 252 € und für Kinder bis 18 Jahre 338 €. Der Vorschuss wird auch dann bezahlt, wenn nicht zu klären ist, wer der Vater des Kindes ist oder wenn der andere Elternteil verstorben ist.

19. Volljährige privilegierte Kinder bleiben unterhaltsberechtigt

Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres haben volljährige Kinder, die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befinden und im Haushalt eines Elternteils leben, Anspruch auf Ausbildungsunterhalt und sind den minderjährigen Kindern unterhaltsrechtlich gleichgestellt.

20. Düsseldorfer Tabelle

Die vom Oberlandesgericht Düsseldorf erarbeitete Düsseldorfer Tabelle erleichtert es deutschen Familiengerichten, den Kindesunterhalt zu bemessen. Damit erübrigt sich im Regelfall eine individuelle Berechnung des Unterhalts im Einzelfall. Vergleichbare Arbeitshilfen im Ausland sind nicht bekannt.

21. Bedarfskontrollbetrag in der Düsseldorfer Tabelle

In der Düsseldorfer Tabelle bindet sich die Rubrik „Bedarfskontrollbetrag“. Der Bedarfskontrollbetrag dient der gleichmäßigen Verteilung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen auf die unterhaltsberechtigten Kinder und den gleichrangigen Ehegatten und darf nicht mit dem Selbstbehalt verwechselt werden.

22. Steuerfreibetrag für alleinerziehende Elternteile

Alleinerziehende Elternteile profitieren von einem Entlastungsbetrag beim Einkommen. Er führt dazu, dass mehr Nettoeinkommen zur Verfügung steht. Der Entlastungsbetrag beträgt 4260 € und erhöht sich für das zweite und jedes weitere Kind um je 240 €.

23. Unterhalt für die Vergangenheit (ab Inverzugsetzung)

Ein unterhaltsberechtigtes Kind kann rückständige Unterhaltsleistungen für die Vergangenheit nur einfordern, wenn es den unterhaltspflichtigen Elternteil ordnungsgemäß in Verzug gesetzt hat. Fehlt es an einer solchen Inverzugsetzung, besteht kein Anspruch auf Kindesunterhalt für die Vergangenheit. In Fernsehfilmen wird gerne suggeriert, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil auch noch für in der Vergangenheit liegende Zeiträume angeblich soll Unterhalt zahlen müssen, so dass er sich oft mit exorbitanten Forderungen konfrontiert sind.

24. Unterhalt ist nicht verzichtbar

Unterhalt soll den aktuellen Lebensbedarf eines Kindes oder eines Ex-Partners sicherstellen. Deshalb ist jede Vereinbarung, in der der Verzicht auf den Unterhalt erklärt wird, unwirksam und nichtig.

25. Kindersofortzuschlag

Familien mit niedrigen Einkommen haben im Jahr 2023 Anspruch auf ein Kindersofortzuschlag in Höhe von 250 €. Der Zuschlag wird zusätzlich zum Kindergeld für die Dauer von sechs Monaten gezahlt und kann immer wieder neu beantragt werden.

Alles in allem

Es ist sicher davon auszugehen, dass das deutsche Unterhaltsrecht viele Gegebenheiten des täglichen Lebens berücksichtigt. Es vollzieht dabei meist eine Gratwanderung zwischen dem Interesse des Unterhaltsberechtigten, nicht zu wenig Unterhalt zu bekommen und dem Interesse des Unterhaltspflichtigen, sich wegen der Unterhaltszahlungen nicht verschulden zu müssen. Im Vergleich mit ausländischen Regelungen ist jedenfalls festzustellen, dass es vielfach derartig detaillierte Regelungen nicht gibt und, wenn überhaupt, Unterhalt nach mehr oder weniger pauschalen Regelungen bestimmt wird.

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