Schuldet ein Elternteil oder ein Ex-Partner Unterhalt, ist es vor allem bei selbstständig tätigen Unterhaltspflichtigen schwierig, das für eine Unterhaltsberechnung relevante Einkommen zu ermitteln. Viele Freiberufler, aber auch andere Unterhaltszahler unterliegen oft einem äußerst unregelmäßigen Einkommen. Mit weitestgehend feststehenden Zahlen rechnen zu können, die eine gewisse Verlässlichkeit bieten, ist sicherlich der Wunsch aller Beteiligten. In der Praxis ist es jedoch oft so, dass Unterhaltsberechtigte sich an den Höchstwerten des Unterhaltsschuldenden orientieren, während letztere insbesondere angesichts Zeiten knapper Kasse eine Festsetzung darauf verhindern wollen. Die damit meist verbundene Kreativität sollte beiderseits nicht über das Ziel hinausschießen.
Wie wird Einkommen bei Selbstständigen berechnet?
Bei Arbeitnehmern wird das unterhaltsrelevante Einkommen nach den letzten Gehaltsabrechnungen berechnet und erlaubt relativ sichere Rückschlüsse darauf, was der Arbeitnehmer in der Vergangenheit verdient hat oder künftig verdienen wird. Bei selbstständig tätigen Unterhaltsschuldnern ist dies anders. Wegen der oft schwankenden Einkommen gestaltet sich eine Unterhaltsberechnung, die auch eine Prognose für die Zukunft beinhaltet, als schwierig.
Ist der Unterhaltspflichtige selbstständig tätig, berechnet sich das unterhaltsrelevante Einkommen nach einem mehrjährigen Jahresdurchschnitt. Dabei ist in der Regel der Durchschnitt der drei letzten aufeinanderfolgenden Jahre vor dem maßgeblichen Zeitraum heranzuziehen. Bei besonders unregelmäßigem Einkommen kommt auch ein längerer Zeitraum in Betracht (BGH FamRZ 1985, 357).
Wurde das Unternehmen erst vor kurzem gegründet, kann auch der jeweilige Jahresertrag zugrunde gelegt werden (BGH FamRZ 2014, 290). Dies gilt insbesondere, wenn der Unterhaltspflichtige sein erstes Jahr als Selbstständiger absolviert und davor angestellt war. Das Gehalt im Angestelltenverhältnis ist eine unzureichende Grundlage für eine Einkommensbemessung nach der Existenzgründung als Selbstständiger.
Praxisbeispiel
Problematik in Corona-Jahren besonders bemerkbar
Dass das ermittelte Durchschnittseinkommen der letzten Jahre für den künftigen Unterhaltsbedarf eine schlechte Grundlage bietet, hat sich vornehmlich gezeigt, als selbstständig Tätige von der Corona-Pandemie betroffen waren und nur noch teils erheblich geringere Einkommen erzielen konnten (AG Pankow-Weißensee FamRZ 2021, 423).
Was ist der Gewinn und das zu versteuernde Einkommen bei Selbstständigen?
Gewinn und zu versteuerndes Einkommen ist bei Selbstständigen nicht mit dem unterhaltsrelevanten Einkommen gleichzusetzen. Grund ist, dass steuerspezifische Abzüge vom Einkommen unterhaltsrechtlich nicht oder nur teilweise anzuerkennen sind. Steuerrecht und Unterhaltsrecht verfolgen unterschiedliche Ziele und verwenden eigene Begrifflichkeiten. Vor allem gelten unterschiedliche Rechtsregeln. Hinzu kommt, dass Selbstständige meist die Buchführung eigenständig erledigen und bei der Steuererklärung das Ziel verfolgen, auf vielleicht besonders kreative Art und Weise mögliche Gewinne zu schmälern und das zu versteuernde Einkommen auf ein Minimum herunterzufahren. Damit besteht die Möglichkeit, Einkommen zu verschleiern.
Wer selbstständig tätig ist, nutzt steuerlich das Instrument der Abschreibung. Steuerlich werden Gegenstände des Anlagevermögens pauschal abgeschrieben, obwohl dem damit vermuteten Verschleiß oft gar keine tatsächliche Wertminderung entgegensteht. Insoweit trifft den selbstständig tätigen Unterhaltsschuldner die Pflicht, seine Einnahmen und Ausgaben so darzustellen, dass die nur steuerlich beachtlichen Aufwendungen von den unterhaltsrechtlich relevanten Aufwendungen deutlich abgegrenzt werden können (BGH FamRZ 1998, 357). Soweit sich Zweifel ergeben, gehen diese zu Lasten des Selbstständigen. Dieser trägt das Risiko, dass das Gericht auf eine Schätzung zurückgreift, die bei selbstständig Tätigen nicht unbedingt zugunsten des Unterhaltsschuldners ausfällt.
Der selbstständig tätige Unterhaltsschuldner kann seine Pflicht, Einkünfte und Ausgaben zweifelsfrei darzulegen, nicht dadurch erfüllen, dass er im Unterhaltsrechtstreit bei Gericht beantragt, seinen Steuerberater oder seinen Buchhalter als sachverständigen Zeugen zu vernehmen. Vielmehr ist es seine Aufgabe, so konkret vorzutragen, dass sich aus seinem Vortrag ein zuverlässiges Bild ergibt. Eine Zeugenvernehmung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn nachvollziehbar konkrete Zweifel an einer Ausgabenposition bestehen (BGH FamRZ 1980, 770).
Wie wird der Gewinn bei Selbstständigen ermittelt?
Um die Einkommensteuer zu ermitteln, kann der selbstständig Tätige eine Bilanz erstellen oder eine Einnahmenüberschussrechnung erstellen. Bilanzierungspflichtig sind meist nur Kapitalgesellschaften. Einzelkaufleute oder Freiberufler unterliegen nur einer allgemeinen Buchführungspflicht, aus der sich eine Einnahmenüberschussrechnung ableiten lässt.
Erstellt der Selbstständige eine Bilanz, werden darin auch die Privatentnahmen zur Gestaltung der eigenen Lebensführung verzeichnet. Der Umfang dieser Privatentnahmen ist ein guter Ansatz für die Ermittlung der unterhaltsrechtlich relevanten Einkünfte, da diese den Lebenszuschnitt des Selbstständigen widerspiegeln. Der Selbständige ist aber nicht verpflichtet, zur Realisierung von Unterhaltsansprüchen eine fortschreitende Verschuldung des Unternehmens in Kauf zu nehmen und durch zusätzliche Darlehensaufnahmen zu finanzieren, wenn dadurch der Betrieb verschuldet wird und die aufgebaute Existenz verlustig gehen kann.
Buchungstechnisch ist es einfacher, eine Einnahmenüberschussrechnung als eine Bilanz zu erstellen. Allerdings hat es der Selbstständige in der Hand, Forderungen vorübergehend nicht geltend zu machen und damit den Gewinn zu verlagern und dadurch seine Einkommenssituation in einem Jahr zu verschleiern. Er kann sich auch verleitet sehen, privat verursachte Kosten aufzunehmen und auch so den Gewinn zu schmälern.
Praxisbeispiel
Betriebskosten PKW
Ein Optiker hatte 80 % der Betriebskosten seines Pkw als betriebsbedingte Ausgaben geltend gemacht. Auf Nachfrage konnte er dem Gericht nicht erklären, warum er für seinen Betrieb einen Pkw in diesem Umfang benötigte. Das OLG Hamm erkannte daher nur 20 % der Kosten als betriebsbedingt an NJW-RR 19 98, 79). In einem anderen Fall schätzte das OLG Brandenburg den Privatanteil an Porto, Telefon und Bürobedarf mit einem Drittel der in der Gewinn- und Verlustrechnung angegebenen Beträge (FamRZ 2007, 1021).
Wie verfahren Gerichte bei der Unterhaltsbemessung?
Ist der Unterhaltsschuldner selbstständig tätig, ist die Ermittlung einer zuverlässigen Einkommensgrundlage oft schwierig. Der Bundesgerichtshof hat hierzu Erleichterungen geschaffen (BGH FamRZ 1993, 789). Zunächst ist der Unterhaltsschuldner verpflichtet, sein Einkommen nachvollziehbar darzulegen, indem er die vollständigen Einnahmenüberschussrechnungen der letzten Jahre nebst Kontennachweisen und die Steuerbescheide für den Unterhaltszeitraum vorlegt.
Die Gerichte können im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung die vom Unterhaltsschuldner vorgelegten Unterlagen daraufhin überprüfen, ob diese richtig und vollständig erscheinen. Auftretende Widersprüche und Ungereimtheiten berechtigen das Gericht, die damit verbundene Kostenposition von vornherein für die Berechnung des Unterhalts vollständig oder teilweise außer Betracht zu lassen oder, wenn der Unterhaltsschuldner trotz eines gerichtlichen Hinweises nicht weiter aufklärt, sie als unwahr zurückzuweisen.
Eine unklare Kostenposition kann auch geschätzt und auf Verfahrenswerte zurückgegriffen werden. Erfahrungswerte kann das Gericht bei
- der Industrie- und Handelskammer,
- Handwerkskammer,
- beim Arbeitsamt,
- bei der Innung
- oder sonstigen Berufsverbänden in Erfahrung bringen.
Alles in allem
Die Unterhaltsberechnung beruht auf konkreten Einkommensbeträgen. Es ist nachvollziehbar, wenn der Unterhaltspflichtige sein Einkommen herunterrechnet, während der Unterhaltsberechtigte daran interessiert ist, auf ein möglichst hohes Einkommen zu verweisen und Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen anzuzweifeln. Da es nahezu zu jeder Ausgabenposition bei selbstständig Tätigen Rechtsprechung gibt, erscheint es als ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, wenn sowohl Unterhaltsberechtigte als auch Unterhaltspflichtige den Unterhalt im Detail von kompetenter Stelle professionell berechnen lassen.